Samstag, 3. August 2013

Rorschach-Tintenklecksbilder — Utö nach Ringsön

Montag, 29. Juli. Mit kurzen Unterbrechungen regnet es, sowohl nachts als auch morgens. Der Himmel ist vollkommen zugezogen, als zögerte der Nebel von gestern noch mit der Landgewinnung. Noch vor dem Frühstück machen wir einen Spaziergang zur Badestelle am Ende der Pier; Skipper tunkt sich, dann will die LF ihm endlich die bonsaifizierte Kiefer vorstellen, deren sie am Vorabend ansichtig geworden war. Der Baum nimmt sich gegen den Himmel jung und alt zugleich aus, strahlt eine Art ewige Schönheit aus. Ein paar Meter daneben steht eine ältere Schwester, ebenfalls anmutig, aber im Vergleich irgendwie bescheiden. Wir genießen den Anblick und das Gefühl, in der Natur echten Charakteren zu begegnen, sei es in Form von Bäumen, Steinen, Wasser oder Orten. Unsere Skärenverzückung wird allerdings dieses Jahr ein wenig getrübt durch Müll, welchen achtlose Zeitgenossen mancherorts hinterlassen, z.B. zerdrückte Bierdosen, zertretene Plastikbecher und Zigarettenstummel. Diese Achtlosigkeit  im Umgang mit den Naturschutzgebieten kennen wir von den Schweden eigentlich gar nicht. Unzivilisiert auch, dass jemand mittenmang einen Haufen hinterlassen hat. Wir wissen noch nicht recht, ob wir von diesen Beobachtungen auf einen Trend schließen sollen...

Wir haben heute "no wind for the sailboat", lassen Heinz mit 2800 Umdrehugen, die immer 7 Knoten Fahrt ergeben, "ungefähr genau nach Westen" laufen. Die See ist glatt, ölig, schwer und grau. Ein mattes Dunkelgrau, bis auf vereinzelte Stellen, wo die Sonne hinscheint, da glänzt sie wie frisch poliertes Silber. Am Horizont rinnt sie, die See, "über den Rand". Es ist schon mit bloßem Auge, um so mehr mit Fernglas, ein tolles Phänomen, die Erdkrümmung zu erkennen. Wenn man die Kimm (den Horizont, das Gesichtsfeld) mit der Formel  e= 2,075x√Ah errechnet (das haben schlaue Mathemati- und Nautiker herausgefunden), liegt die Krümmung in erstaunlich geringer Entfernung für so eine Riesenkugel wie die Erde, nämlich in etwas unter drei Meilen, wenn wir von ca 2 Metern Augenhöhe ausgehen. Mit Begeisterung beobachtet die Lockbuchführerin bei Langfahrten die Kimm, hinter der dicke Tanker immer erst als abstrakte Gebilde regelrecht auftauchen.

Für die letzten zwei Stunden darf Heinz sich ausruhen. Wir gleiten mit voller Besegelung bei südlichem  Hauch sanft aber zügig (4.6 Knoten Fahrt) Richtung Westen, wo ein paar helle Streifen in den Himmel aquarelliert sind, während er, der Himmel, im Süden grau geblieben ist. Ringsön ist eine ringförmige Skärengruppe (so der Name) mit verschiedenen geschützten Ankerbuchten. Bei Einfahrt läuft die Abendsonne nochmal zur höchsten Tagesform auf und zeigt uns "ungefähr genau", wo wir den Anker werfen sollen. Ringsum spiegeln sich Felsen, Bäume und Schilf im Wasser wie Faltbilder von Rorschach: achteraus ein junges Schwein mit aufgerissenen Augen, in wildem Galopp, auf seinem Rücken eingraviert ein kleines scheues Füchschen, seine Hinterläufe ebenso als Krebszangen zu lesen; etwas weiter östlich ein Hirschkäfer, im Westen ein fliegender Fisch und ein namenloses Fabelwesen; im Nordwesten gibts alle paar Sekunden was Neues. Die sinkende Sonne, nur noch knapp überm Horizont, beleuchtet von da unten ein Wolkenschauspiel erster Güte.


Und sonst:
- Beim Baguette- und Brotwettbewerb, den wir parallel zum Fischsuppenwettbewerb laufen haben, kann die Bäckerei von Utö in der Oberliga mitspielen.
- Eine helle Ader im Felsen sieht von weitem aus wie ein versteinerter Wasserfall

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