Samstag, 27. Juli. Morgentau und Nebel, der sich zunächst wieder lichtet. Möja ist wie eine Zeitschleife. Hier könnten wir hängen bleiben. Tun wir aber nicht. Das Hafenmanöver dauert eine halbe Stunde, da wir mit unserem Kiel in der Ankerleine des Nachbarn in Lee hängen bleiben. Vorbereitet waren wir eher auf die Ankerleine des luvwärtigen Nachbarn, in dessen Richtung unser eigener Anker liegt. Bloß können wir uns dahin nicht ziehen, da wir unmittelbar vor unserem Liegeplatz auf Sandgrund stoßen — beim Reinfahren konnten wir vorwärts elegant drüber wegbügeln, rückwärts gehts aber nicht. Ui ui ui, da gibts Arbeit für ein paar Leute. Die Nachbarn zu beiden Seiten passen auf ihre Schiffe auf und halten uns ab, falls nötig, denn selbst öddelige 6-8 Knoten Wind treiben uns erheblich ab, sofern sie von der Seite blasen; allerlei Leute mischen sich ein, was die Richtung angeht, in die wir am besten drehen sollen, backbord oder steuerbord. Wo ist es am tiefsten? Jeder sagt was anderes. Ein Bötchen mit drei Leuten kommt angefahren, einer von ihnen nimmt unsere Vorleine, und so werden wir mit Motorkraft (immerhin, auch wenns nur ein Dingimotor ist) auf dem Teller gedreht, sodass wir die Untiefe wieder vorwärts nehmen können und frei kommen. Uff. Danke, und alle legen sich wieder hin.
Kaum haben wir uns erholt, biegen wir wenige Meilen nordöstlich von Möja auch schon nach Osten in den Bockösundet ab. Überraschung: es ist eine der schönsten Durchfahrten, die wir lange erlebt haben. Die Passage ist traumhaft, Trance induzierend. Wir vergessen, woher wir kommen und wohin wir wollen. Unser Weg ist rechts und links von hoch bewachsenen und kahlen Felsen gesäumt, die sich voraus perspektivisch verjüngen, als fuhren wir in eine geschlossene Form hinein. Wie in einem Rundumtheater sieht es aus, als trugen unsichtbare Hände die Landschaft an uns vorbei, unzählige Schichten beweglicher Kulissen in verschiedenen Grautönen. Nur die allernächste Umgebung enthält Grün, sattes Braun, und "Neger-Innenhandflächen-Rosa" (Skippers Alltagspoesie), der Rest verliert sich in Grau, und voraus im Nebel. Glattgeschliffene und zerklüftete Felsen wechseln einander ab, an den Säumen vom Wasser blank poliert. Manche Brocken unterschiedlicher Größen liegen so nah zusammen, als gehörten sie zueinander; kleine und größere Buchten öffnen und schließen sich, wir schauen, halten die Luft an und staunen.
Boxenstop in Sandhamn, wo wir Trinkwasser, aber auch ein paar Liter Diesel bunkern. Im Hafen wimmelt es nur so von Booten, geht zu wie auf einem Bahnhof. Schon gut, hier wolln wir ja eh nicht bleiben. Weiter gehts, aber da wieder dichterer Nebel aufkommt, gehen wir erstmal vor Anker in der Bulleröbucht, in der Hoffnung, dass die Sicht nach ein bis zwei Stunden wieder besser wird. Bullerö ist zwar entzückend, aber als Übernachtungsskäre nicht geeignet. Zu klein, zu ungeschützt bei wechselnden Windrichtungen. Als wir uns wieder auf den Weg machen, ist der Nebel eher noch dichter geworden, gibt aber dennoch zwischendurch schöne Ausblicke frei, z.B. auf eine Bonsaikiefer, die allein auf einer einsamem kleinen Skäre Wind und Wetter trotzt. Wir tuten in den Nebel, langgezogene Töne. Die Atemluft wärmt sogar die Hand, welche die Tröte hält, ein bisschen.
Die Bucht von Langviken ist groß und geschützt. Wir bleiben nachts in unserem Teil das einzige Schiff. Wind lässt ganz nach, Nebel hüllt uns immer noch ein. Wie sehr wir den Horizont brauchen, fällt uns jetzt auf, da wir keinen mehr haben. Nichts sehen zu können fordert den Verstand heraus, ganz nüchtern im Hier und Jetzt zu bleiben. In Kombination mit kalter Feuchte ist nicht nur der Verstand gefordert, sondern auch die Emotionen. Später in der Nacht zieht sich der Nebel etwas zurück.
Und sonst:
- "Neger-Innenhandflächen-Rosa" ist zwar ein Pleonasmus, da Handflächen nun mal innen sind, aber es gefällt mir trotzdem besser als "Neger-Handflächen-Rosa"; vielleicht erneut die Faszination, dass uns wieder einmal außen etwas Inneres begegnet. Aber natürlich auch, weil es ein Zitat ist, und Zitate brauchen nun mal das Original.
- Vor dem Ablegen: Badende am anderen Ufer, und ein Hund, der auf Wasser geht
- Nach dem Ablegen, merke: alles, was sich vertucken kann, vertuckt sich auch. Und wisst ihr warum? (Weils geht)
- Im Kielwasser eines Containerschiffs ist das Wasser glatt gebügelt
- Unserer Teekanne fehlt an der Tülle ein kleiner Katschen. Dabei ist sie noch gar nicht so alt. Das ist noch nicht dramatisch, aber doch schon beinahe so schlimm wie Flecken auf Lieblings-T-shirts. Wir schätzen sie, behandeln sie mit Respekt. Sie (die Teekanne) kommt täglich zum Einsatz, und wir haben sie gerne. Jeder Schaden oder drohende Verlust an den Dingen, die wir haben, ist an Bord fast noch schmerzlicher als zuhause.
Timeslip ist die wunderbare technische Einrichtung an der Fernbedienung für unseren Fernseher. Auf Knopfdruck pausiert das Fernsehprogramm solange, bis wir alles erledigt haben, von Nachtisch oder warme Socken besorgen über Anrufe erledigen oder abwimmeln bis Pinkelpause. Unsere diesjährige Tour ist nach diesem Gefühl benannt, eine profane Tätigkeit in eine andere profane Tätigkeit hinein zu schieben und dabei ganz selbstverständlich die Eigenzeit vor die fremde Zeit zu setzen.
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