Mittwoch, 17. Juli 2013

Sturm im Kopf — Nyköping nach Trosa

Montag, 15. Juli. Schon morgens bläst es mit 4 Bft, in Böen 5.  Die Rudergängerin "netzert" ein bisschen. (Der Namensgeber für dieses Tätigkeitswort, das noch in keinem Duden zu finden ist, weil: wir hams erfunden, ist Günther Netzer, der Fußballer. Die Rudergängerin kann seinen sauertöpfischen Gesichtsausdruck. Hinter dem Netzern, so weiß sie inzwischen, steckt aber mehr, als einfach nur nachzuahmen, wie er, der Günther, leicht angewidert das Leben kommentiert und dabei so nebenbei alle niedermacht. Wenn das Netzern so über sie kommt, dann weiß sie, dass der Tag nicht einfach wird, sondern schwer, und dass er ein paar Tücken parat hält. Zuhause nennen wir das Phänomen die "Tücke des Objekts). Die erste T.d.O. ist der Wetterbericht im Hafenbüro. Die Rudergängerin vergleicht nochmal sicherheitshalber die Daten mit denen von des Skippers Wetter-Äpp. Komisch. Laut dem Hafenaushang gibt es schon übern Tag mit dem Durchschnittswind Sturm, in der Nacht erst Recht, und vom Spitzenwind ganz zu schweigen. Kann doch nicht sein! Der Hafenaushang ist ein Ausdruck vom Windfinder. Den hat auch der Skipper konsultiert. Wo ist das Problem? Ach so! Der Windfinder rechnet ja in Knoten, während die Schweden, wie auch die Dänen, in Meter pro Sekunde (m/s) rechnen. An die m/s-Rechnung haben wir, die wir sonst immer in Knoten rechnen (etwa doppelt so viel wie m/s), uns gerade erst gewöhnt und die Knoten ganz vergessen. Knoten als m/s gelesen ergeben natürlich: Sturmstärke. Nun gut, ham wir das geklärt.

Die nächste T.d.O. kommt beim Ablegen. Der Wind drückt beim Rückwärtsgehen wunschgemäß den Arsch der Schille nach backbord in den Hafen hinein, als wir schon fast aus den Booms raus sind, drückt er aber wieder den Bug nach bb. Und da ist dann eine von den Davits des Nachbarn unserem Bugkorb im Weg (Davits, daran kann man sein Dingi aufhängen). Hört sich schlimmer an, als es ist (kein Schaden, nur Stahl auf Stahl, wir klären das später mit den Nachbarn). Später wird sich auch klären, dass der Rudergänger (in diesem Fall der Skipper) und die Lockbuchführerin unterschiedliche Vorstellungen von diesem Manöver hatten. Das Ruder lag eben nicht nach bb, sondern gegen die gewünschte Richtung nach stb. So einfach is Physik... Nun gut, ham wir auch das geklärt.

Die nächste T.d.O. ist die Untertasse von der Rollfockrolle. Sie hat sich ausgehängt. Wir können das auf See nicht reparieren, fahren also zurück, legen nochmal an, diesmal außen längseits der Pier. Ziehen die Imbusschrauben fest. Und dann: auf ein Neues. Jetzt ist es 12:15, viel später als geplant, aber was solls: Es ist eine traumhafte Ausfahrt, gesäumt von Schilfgürteln an beiden Ufern und vorbei an der "Tod- durch-Vogelkacke"- Skäre, die sich durch einen abgestorbenen, weil zugekackten Baum auszeichnet, und eine kreischende Horde von Vögeln, denen das alles — das mit der Umwelt — sprichwörtlich scheißegal ist... Dann biegen wir in das innerste Skärenfahrwasser, wie es innerer gar nicht mehr geht, auf Valarö zu, zwischen Langö und Risö durch. Kulissen werden verschoben, dass es nur so eine Art hat — Felsen decken einander in Vorbeifahrt ab, Horizonte verschieben sich gegeneinander. Viele Tatzenskären, später Igelskären. Das Hirn will halt immer was erkennen, deshalb die animistischen Assoziationen.

Wir nehmen manch enge, aber unterm Kiel ausreichend nasse Passage, bis der Skipper und Navigator plötzlich schreit: "Fahr zurück, dreh um!" Oha. Heinz springt sofort an, danke, Fock ist eh klein, um Geschwindigkeit zu drosseln, wir machen nur 3,2 Knoten, das Groß haben wir gar nicht erst ausgepackt. Intuitiv eine Halse nach steuerbord, konsequent um 180°, denn an backbord sieht es: gar nicht gut aus... Über die Rocky Mountains müssen wir Gott sei Dank nicht, nur über einen Geröllhaufen. Ein paar Sekunden später, und wir wären nicht mehr so glimpflich davon gekommen. Es rummst ein bisschen "im Abgang", mit dem bekannten "on the rocks"- Geräusch, einem hohlen, mittelhellen Klang wie große-Kieselsteine-aneinander-reiben, und wir sind wieder frei. Wir machen die Passage gleich nochmal, diesmal erkennen wir die Tonnenführung sofort: Wo das Fahrwasser einen Knick macht, haben wir das zweite Tonnenpaar für das erste gehalten. Ein paar Möwen schauen uns seelenruhig von dem Felsen nach, den wir dank glücklicher Fügung ausgelassen haben. Scheisendreck! Wir können später auf dem Track der Äpp genau nachvollziehen, was wir gemacht haben. Gut. Ham wir auch das geklärt.

Auf unser ursprüngliches Ziel, den Naturhafen Aspö, haben wir jetzt nicht mehr so richtig Lust. Der Schock einer Grundberührung sitzt tief; das Leben hängt am seidenen Faden, auch wenn es strapazierfähige Fallschirmseide ist. So fahren wir bloß vorbei an der Bucht und lugen hinein. Die Gegend ist zwar zauberhaft, aber die Bucht ist überfüllt, wir hören schon das Schreien fröhlicher Kinder, die sich immer wieder aufs Neue von Bord ins Wasser plumpsen lassen, während andere ihren Dingimotor zum kreischen bringen. Ist nicht gut für die Nerven, so eine Bucht. Außerdem ist der Wind sowieso zu stark für einen Naturhafen, nachts soll es weiter etwas kräftiger blasen. Also entscheiden wir uns hier und jetzt für Trosa.

Die Einfahrt ist wiederum verzaubert. Igelskären und Skären, deren Schilfsaum und Bewuchs sich freiwillig nach Lee biegen, aber auch einige, die ihren Bewuchs ganz gegen die gängige Windrichtung gegelt haben. Zu welchem Frisör gehen die?! Die Einfahrt zieht sich, wir sind erschöpft, und der Hafen ist in aller Echtigkeit gepackt, was eigentlich unser Standardwitz ist. Diesmal bekommen wir erst einen Platz, als die Skipperin eines Motorbootes uns signalisiert, dass sie rausgeht. Prima. Eine Heckboje wird frei, wir quetschen uns rein. Sitzt, passt, Luft braucht es nicht. Mahatja Fender. Zehn  Minuten Augen zu, und dann ab ins Städtchen. Auswärts essen und ein Glas Rotwein auf den Schreck mit der Grundberührung. Gut schlafen geht anders, aber shit happens. Der Abend klingt aus mit Geschichten. Na dann: Gute Nacht.


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