Montag, 26. August 2013

"E.T. nachhause telefonieren" — Sonderborg nach Kappeln

Der Wind beinahe die ganze Nacht so böig wie gestern tagsüber. Erst am frühen morgen macht er eine Verschnaufpause, um dann aus derselben Richtung weiter zu blasen: 4-5 Bft aus Osten. Lufttemperatur beträgt 17°C. Wir halten das Frühstück kurz. Am Himmel gibts heute nur Weiß auf hellblauer Palette. Im Laufe des Vormittags lösen sich die Cirrocumuluswolken aus Osten auf, indem sich einzelne Schäfchen absetzen, als hätte ein Maler in luftigen Höhen hier und da seinen Pinsel ausgetupft. Unmerklich verdunsten sie. Der Wind lässt etwas nach. Die Hochdrucklage stabilisiert sich dann (sacht Bernhard). Wir reffen bald aus und fahren dicht unter Land am Wind der Heimat entgegen. Ein wunderbarer Segeltag zum Abschluss. Vor Schleimünde brist es nochmal kräftig auf. Der Skipper erzählt die Horrorgeschichte von der Überführung seines ersten Folkeboots unter ähnlichen Bedingungen, was die Windrichtung angeht. Bei Ost rollt der Wind eine brutale Welle in die schmale Mündung hinein. Wir Halsen (kontrolliert) beim Einbiegen, haben jetzt mit achterlichem Wind und dieser Welle viel zu viel Tuch oben, sind zu schnell für den engen Raum mit Gegenverkehr und Tralala. Skipper konzentriert sich ausschließlich aufs Rudergehen. Nichts anderes geht mehr. Wir schlingern unter erneuter Halsengefahr in die Schlei rein, LF zieht die Fock weg. "Viel schwär!" Ein paar Meter weiter, noch vor der Einfahrt in den kleinen Naturhafen, ist der Spuk vorbei. Keine nennenswerte Welle mehr. Fuh! Ein brachiales Manöver, obwohl die Erinnerung eine Warnung hätte sein sollen.

Im Heimathafen gibts gleich Hafenkino. Der Film heißt "Cooles Springmanöver". Ein Nachbar legt sich bei kräftigem auflandigem Wind erstmal längsseits vor die Poller, um das Schiff dann langsam durch Eindampfen in die kurze Vorspring über den Poller in die Box zu drehen, lange Achterleine schon vorher klargemacht, und Auffieren der Vorspring, als der Winkel stimmt. Solchen Manövern beim Gelingen zuzusehen macht einfach Spaß. Aber dann klar Schiff und nix wie weg hier. "Nach Hause!", wo es leckere Äpfel gibt (Elstar, neue Ernte).

Und sonst, die Reise in Zahlen:
- Anzahl Tage unterwegs, 58
-  zurückgelegte Seemeilen, 1.056
- Anzahl Häfen, 36
- Anzahl Häfen mit 2 Übernachtungen, 7
- Anzahl Häfen mit 3 Übernachtungen, 1
- Anzahl Häfen mit 4 Übernachtungen, 1
- Anzahl Naturhäfen / vor Anker, 8
- Anzahl Tage mit Niederschlägen, 9
- Anzahl Tage mit Nebel, 3
- Anzahl Gewitter, 4
- Anzahl Tage mit Wind über 6 Bft, 6
- Anzahl Tage schwachwindig, 10
- niedrigste Wassertemperatur 15,6°C; höchste Wassertemperatur 20,8°C
- niedrigste Lufttemperatur 16°C; höchste Lufttemperatur 28°C
- Anzahl Grundberührungen, 1
- Anzahl gelesene Bücher, 3.5 (Skipper), 4 (LF)
- kein einziger guter Apfel in den letzten zwei Monaten, weder im ganzen schwEDEN,  noch im "Staate Dänemark"

"Bloß keine Fingerabdrücke!" — von Aarö nach Sonderborg

Samstag, 24. August. Wir machen uns noch vor dem Frühstück auf den Weg, da sich die Strecken wegen des Stroms verlängern. Draußen bläst es allerdings schon auf die Art, die ohne  Nahrungsgrundlage bei der LF Übelkeit verursacht, zumal ja schon direkt kräftig zugelangt werden muss. Von wegen "halber Wind, da ziehen wir einfach die Lappen hoch, lassen uns nach Süden pusten und frühstücken gemütlich dabei". Wir starten gleich mit 5 Bft, in Böen 6, also ziehen wir noch vor dem ersten Schluck Tee zwei Reffs rein. Dann gibts ein Lachsbrötchen, handlich zusammengeklappt. Fertig. Versöhnlich ist der Ausblick. Das Land zeigt hier und da seine offenen Flanken aus Sand, grün gesäumt, gehalten von Bäumen und Sträuchern, und wenn die Sonne ein solches Fleckchen erleuchtet, rieselt es Glücksgefühle.
Wir donnern bei zunehmend ruppigem Gebläse nach Süden, über Grund machen wir aber 2 Knoten, also um und auf ein Drittel weniger Fahrt. Passieren einen gekenterten Katamaran. Die Aufrichtung bei dem Hack ist schwierig. Wir fragen, ob wir helfen können. Die beiden Männer wollen es aber selber richten. In den Fjorden dreht der Wind so nach vorne, dass wir den Rest "mit Heinz" zurücklegen. Dabei dosiert der Skipper und Rudergänger, der dünne Handschuhe trägt, das Gas mit spitzen Fingern so feinfühlig, dass die LF sich unweigerlich in einen Krimi versetzt fühlt: "Bloß keine Fingerabdrücke auf dem Gashebel hinterlassen!" Es riecht nach Raps und Rauch.

In Sonderborg geht nur noch Päckchen, obwohl es erst Mittag ist. Wir brauchen auf jeden Fall eine Pause, zum Frühstücken und Wetter aktualisieren. So schön es auch wäre, noch bis Schleimünde weiter zu fahren und dort vielleicht ein paar Segelkameraden zu treffen — wir entscheiden uns, hier zu bleiben und den Rest der Strecke morgen in Ruhe zu erledigen, falls das Wetter es zulässt. Es ist gemütlich, nach dem Getose von Wind und Welle fest zu sein, auch wenn der kein bisschen nachlassende Ostwind einen sehr unangenehmen Schwell in den Stadthafen drückt. Später erweitert sich unser Päckchen noch. Wind und Schwell versetzen unseren Dreier in ständige Bewegung, das äußerste Schiff ruckt immer wieder in die viel zu kurzen Leinen ein. Hng. Der Wind soll Nachts so weiter blasen. Die Aussichten auf Beruhigung sind also null. Nachdem der Stress von der Fahrt von uns abgefallen ist wie die Haut von einer Schlange, wir Landleinen gelegt und der Dritte sich langwierig mit Leinen und Springen an uns fest gemacht hat, trifft der Skipper zugunsten einer ordentlichen Mütze-voll-Schlaf-heute-Nacht eine unpopuläre Entscheidung: Wir verholen uns in den Yachthafen um die Ecke. Lange Gesichter beim Dritten Mann. Nichts für ungut. Aber nutzt ja nix. Im Yachthafen liegen wir zwar konventionell und ohne soziale Anbindung in einer Box mit Pollern, überblicken aber zum Ausgleich den gesamten Horizont: Ein kühles Grau im Nordosten und ein warmes Rot im Westen stehen sich in EINEM Himmel gegenüber. Kaum Schwell. Die Möwen buchstabieren sich gegenseitig was vor. "L, L, L!" Na dann: Gute Nacht.

Und sonst:
- Reffen=Segelfläche verkleinern
- Fahrt über Grund, Fahrt durchs Wasser. Wenn die Fahrt durchs Wasser auf dem Kurs nach Süden 7 Knoten beträgt, der Strom aber mit zwei Knoten nach Norden setzt, also dagegen steht, legt man tatsächlich über Grund nur eine Strecke von 5 Meilen pro Stunde zurück. So kommt es, dass Strecken, die man normalerweise locker bewältigen würde, eine "drittel Ewigkeit" länger dauern.
- Päckchen. Wenn alle Plätze längsseits der Piers besetzt sind, legen sich die Schiffe aneinander, sodass sich Zweier-, Dreier-, Vierer- und noch größere Päckchen ergeben. Wenn ein Hafen besonders klein ist, wachsen die Päckchen der gegenüberliegenden Stege so weit an, dass sie in der Mitte zusammenstoßen und man den Hafen zu Fuß überqueren kann.

Das Kreuz mit der Kreuz — Middelfart nach Aarö

Middelfart Gammel Havn 

Freitag, 23. August. Die Schwalben haben sich für "hoch" entschieden. Zum Frühstück ist der Morgentau schon aufgetrocknet. Wir machen ein paar Besorgungen im Supermarkt und schicken uns an, den Feuerquallenfriedhof zu verlassen. Der Ausbau dieses Hafens, Beginn 2008, war durch die Finanzkrise ins Stocken geraten, wird aber jetzt laut Hafenmeister wieder weiter betrieben. Nur zu, wir gehen nächstes mal in den "Gammel Havn", direkt an die Fischbude ran, falls wir uns dann noch daran erinnern, dass wir für Eiweißschock in romantischer Atmosphäre votiert haben. 

Die Fahrt durch den Sund ist schön, helle Abbruchkanten aus Sand werden von dichter Bewaldung gehalten. Richtig vorankommen tun wir allerdings nicht. Gegen den Strom UND auf der Kreuz, das ist ja "schlimmer als Rocher verschenken" sowieso, aber auch schlimmer als "türkische-Blätterteigrolle-mit-einem-Rest-Spaghetti-Bolognaise-Sauce". Das ist nämlich das Mittagshäppchen für die LF; der Skipper verzichtet großzügig, er muss auf die Linie achten. Wir sind halt nicht "Ärzte ohne Grenzen", sondern "Resteverwertung ohne kulturelle Diskriminierung". Ja. 

Aarö ist ein gemütlicher, rödeliger, öddeliger und uriger dänischer Hafen. Die Sonne geht unter wie bei Bernhard Michels: Abendrot Schönwetterbot. Da der Skipper vom Abendbrot mit überwertig viel Grünzeug nicht satt geworden ist, muss er in der "Aarö Perlen" einen "Heißen Hund" nachladen. Vorher aber probieren wir noch den Klang der Kirche mit "Wait for the Lord" aus, alle vier Stimmen hintereinander weg. Sehr schön, wenn man sich selber Gänsehaut machen kann. Dann dreht der Wind endlich auf Ost. Zu spät für uns. Wir sind ja schon fest. Auf der Weide grasen die Inselkühe. Muh.

Und sonst:
- Der neue Flaggenstock muss am Poller dran glauben, wird aber gleich per langer Schraube repariert.
- 2 Knoten Strom gegen
- Kurz vor der Durchfahrt unter der alten Eisenbahnbrücke rattert ein laaaaaaaanger Güterzug darüber. Die Güterwaggons sind undurchsichtig grau und sehen alle gleich aus. Wen interessiert, was drin ist? 

Samstag, 24. August 2013

Hochtief die Schwalben — Ballen nach Middelfart

Walknochen in der Kirche von Middelfart
Donnerstag, 22. August. Ab jetzt geht es unweigerlich Richtung Heimat. An der Südspitze von Samsö beobachten wir ein interessantes Stromphänomen: Die Küste runter hatten wir die ganze Zeit einen halben Knoten Strom gegenan, an der Landspitze plötzlich für wenige Momente ebenso straken Strom mit. Auf dem Wasser zeichnet sich deutlich eine Linie ab, wo der Strom kentert. Als wir an der Landspitze vorbei sind, haben wir wieder Strom gegenan, und zwar doppelt so stark wie vorher. 

Der Himmel jetzt nur an den unteren Kuppelrändern milchig, darüber hellblau. Die LF liest wieder im Wetterbuch von Bernhard Michels, rechnet ein paar Angaben nach und staunt nicht schlecht: Blitze haben eine Geschwindigkeit von 128.000 km/sec. Wenn der Erdumfang in Seemeilen 60 Minuten x 360°, also 21.600 beträgt, in km also "etwa ungefähr genau" 40.000, dann bedeutet es, dass ein Blitz in einer Sekunde etwa 3x um die Erde rast... Kein Wunder, dass Gewitter Urängste auslösen!

Wir gehen in den Nyhavn von Middelfahrt, der von der Firma Telka gesponsert wird. An der Außenmole hängt zusammen mit dem Logo gleich ein Preisschild. Das wär jetzt nicht nötig gewesen. Spaziergang durch die Stadt: eine  ausgestorbene Haupteinkaufsstraße, die sich irgendwo im alten Viertel rund um die Kirche verliert. Das ist das typische Schema. Die Kirche wollen wir — wie die meisten Kirchen — gesanglich auf ihren Klang testen, kommen aber gerade mal zum Luft holen, als über uns eine Orgel und zwei Frauenstimmen erklingen. Wir diffundieren in die Holzbänke hinein und lauschen: Zum "Salve Regina" von Pergolesi schweifen unsere Blicke über Schnitzereien von Köpfen und allerlei hölzernem Volk. Die Holzköpfe sehen ihrerseits aus, als lauschten sie; Zeitschleife. Das Trio probt für ein Konzert. "Is it balanced?" "Yes, it's well balanced!" In der Abseite hängen Walknochen an der Wand, die man 1603 hier im Sund gefunden hat, und von der Decke im Hauptgang hängt das obligatorische Schiff.

Beseelt vom Klang laufen wir zum alten Hafen runter. Atmosphärischer Bruch. Hier wird gebaut, es stinkt, aber urig ist es, die Fischbude gleich vis à vis. Nächstes mal legen wir das Schiff gleich hierher. Zurück an Bord stellen wir fest, dass das Konzert, dessen Probe wir gerade beigewohnt haben, heute abend stattfindet, d.h. wir brechen bald wieder auf und lassen uns von Pergolesi, Faurè, Händel, Vivaldi usw. berieseln. Der Klang dieser Kirche ist außergewöhnlich; die Orgel allein wie ein ganzes Orchester, sehr differenziert, nicht breiig wie die meisten Orgeln, und die beiden Frauenstimmen im Duett könnten bestimmt Steine erweichen. 


Und sonst:
- Der Hafen ist ein Feuerquallengrab
- Die Schwalben können sich heute nicht entscheiden, deshalb fliegen sie hochtief        
- Eine Schwalbe macht zwar keinen Sommer, aber "zirka ungefähr genau" 73 Schwalben schon
- Wir befinden uns in einem riesigen Hochdruckgebiet
- Sommerkoncerter 2013, Middelfart Kirke, TriOro, Kiki Brandt, Sopran; Christina Dahl, Mezzosopran; Torben Krebs, Orgel, Probe  http://youtu.be/Xof8bS7Amw0

Wieder die Kaltmamsell — Ballen

Typische Sandabbruchkante mit Grasbordüre — wer hält wen?

Mittwoch, 21. August. Heute werden wir zur Abwechslung mal von Funkverkehr- über-den-gesamten-Hafen geweckt. Was zum Teufel soll das!? Spinnen die jetzt, die Dänen? Wir verstehen nicht, was gesprochen wird, hören aber volle Lautstärke jemand atmen und röcheln. Hafenexhibitionisten? Da fallen wir doch nicht drauf rein! Wo die Störgeräusche herkommen, steht ein Lieferwagen auf der Pier: "Dykkerservice". Aha. Das sieht nach Arbeit aus. Auf Nachfrage: Ein Taucher inspiziert die Molen auf Schäden. Seine Kommentare und sein Atmen müssen natürlich für den Mann an Land hörbar sein. Die Inspektion wird den ganzen Tag dauern. Ok, dann arbeiten wir jetzt auch ein bisschen. Erst ausgiebig Rein-Schiff, Ölstand prüfen, und dann ein Bad am Strand nördlich vom Hafen. Das Wasser ist klar und ohne Feuerquallen. Wassertemperatur  16,6°C. Sehr erfrischend, bis Herzklabastern einsetzt. Dann ist das Hafennetz gut genug, um ein paar Dinge zu organisieren und ein bisschen zu bloggen. Aprospos organisieren: da kommen Heimatgefühle auf. Ein paarmal schlafen, und wir wachen wieder zuhause in einem richtigen Bett auf, das auf festem Boden steht. Wir kokettieren ein bisschen damit, ob wir das wirklich wollen. 

Während derlei Gedanken gedacht und Gefühle gefühlt werden, leert sich der Hafen und füllt sich wieder. Stratocumulusbewölkung sorgt für ein gleichmäßiges, niedriges  Grau am Himmel und zusammen mit der Kühle der Luft für einen ganz alltäglichen Alltag: "Nichts Neues gibt es unter der Sonne."

Und sonst:
- Auch wenn 16,6°C nicht das kälteste Wasser auf dieser Reise ist, fühlt es sich für Ende August einfach zu kalt an. Das Wasser soll sich doch übern Sommer aufheizen!
- Die Enten stehen Kopf

Die Stille der Kiesgrube — Öer nach Ballen / Samsö


Dienstag, 20. August. Die absolute Stille der Kiesgrube weckt um 4:00 die LF. Sie liest "Die Tote im Götakanal" weiter, wo man endlich mit den Ermittlungen voran kommt. Hier in der Grube weht kein Lüftchen. Der Hafen hat etwas Steriles, Unbelebtes. Nur die wenigsten der Häuschen sind noch ferienmäßig bewohnt. Selbst das Zwitschern der Vögel wirkt wie eine kitschige Beigabe aus der Retorte. Wir absolvieren die Schleuse mit dem etwas mürrischen Wärter, und dann gibt es draußen auf See doch tatsächlich nicht nur "geilomates" (LF), sondern "geiloprontes" (Skipper) Segeln. Der Wind bläst gleichmäßig mit 3-4 Bft aus Westnordwest, wir gleiten nach Süden. Strom hält sich in Grenzen. Sonne scheint. Wind kühlt. Eine der ansonsten von der LF sehr gefürchteten, weil gefräßigen "Haifischfähren" macht nach dem Ablegen freiwillig einen riesigen Bogen um uns, bevor sie richtig aufdreht. Der Skipper darf heute alles alleine machen. Zur Feier des Tages trimmt er sich nen Wulf. Die LF, das lichtscheue Gesindel, legt sich im Schatten ab und träumt himmelwärts. 

Der Hafen von Ballen ist bei Ankunft um 15:30 zu zwei dritteln besetzt, füllt sich aber gegen abend noch auf und wird der wohl vollste Hafen der letzten zwei Monate. Chartercrew um Chartercrew landet an, ein paar Schiffe gehen ins Päckchen. Draußen geht ein Oldtimer vor Anker. Der Vollmond sieht sich alles gelassen an. Die Klamotten des Skippers sind wieder trocken. Er war beim Anlegen und dem Sprung auf die Pier mit der kurzen Hose in einer der Relingstützen hängen geblieben und samt Vorleine ins Wasser gefallen. Glück im Ungemach: Bis auf ein paar kleine Schrammen blieb alles heil, incl. der Brille auf der Nase. Da wir an dieser Pier nicht an Elektrizität rankommen, legen wir uns noch mal um. Das unfreiwillige Bad hat also noch nicht mal geholfen :-( Die neuen Nachbarn hantieren gleich umständlich an ihren Leinen herum. "Sind wir Ihnen zu nah?" fragt die LF. "Ja, die Fender berühren sich, das muss ja nicht sein." Ah ja... Wir können noch ein bisschen Lose aus der Steuerbordvorleine rausziehen. Und das machen wir gerne!   

In unserem Lieblingshafenrestaurant gibt es heute äußerst kreative Küche, die zum Nachkochen animiert: frischen Seehecht in orangefarbener Kohlsauce (Kohlsorte unbekannt) und Blumenkohlpüree, in ein Rotkohlblatt eingerollt. Fuh!

Und sonst:
- Eine "Haifischfähre" ist eine Schnellfähre. Schnellfähren sind mit ca 40-50 Knoten Fahrt etwa 8-10 mal so schnell unterwegs wie wir. Im Profil sehen sie aus wie Haifische mit weit aufgerissenem Maul, nicht? 
- Beim Hafenrundgang bewundern wir eine 43 Fuß lange "Motiva" aus der Heimat und erfahren ein paar technische Details von den Eignern: das Schiff wiegt 16t und lässt sich dementsprechend bei wenig Wind nur mit Motorkraft bewegen; je 600L Diesel und Frischwasser; Bugstrahlruder; Stahl mit Gelcoatbeschichtung; wird nicht mehr gebaut. Sieht sehr gemütlich, ja handlich aus und ist tauglich für eine Weltumsegelung. Hng.
- geilopront: Steigerungsform von geilomat

Freitag, 23. August 2013

"Mellem Jyder" — Anholt nach Öer

Häschen in der (Kies-)grube

Montag, 19. August. Da kommt noch vor dem Frühstück Freude auf: Das Schiff aus dem Rheingau, das mit laut schnatternder Crew gestern abend vor Einbruch der Dunkelheit noch an steuerbord von uns längsseits der Pier in die Lücke gequetscht  wurde, touchiert uns beim Ablegen mit seinem ausladenden Heck, und sein Skipper drückt auf die Tube, ohne sich nochmal umzudrehen. Lediglich schimpfen hört man den Unseligen mit dem armen Mann, der die Landleine losschmeißen sollte: " Ich hab doch gesacht Leine los! Dir geb ich nie wieder Verantwortung!..." Hä?! Da wird wohl mal eine Mail fällig, zumal dieses Schiff mit gut lesbarer Webadresse für "Freude am Segeln" wirbt. Leck mich am Dill, do. 

Wir halten das Frühstück kurz, tanken und machen uns auf den psychologisch ungünstigen Weg nach Süden, gegen den Strom. In der ersten Stunde genießen wir mit westlichem Wind noch Segelfreuden, dann dreht der Wind nach Süden und beliebt bald ganz einzuschlafen. Das wird ein laaaaaaanger Tag. Eigentlich wollten wir nach Ebelthoft. Da dieses Ziel aber mit ca. 10 Seemeilen reintuckern in die Bucht (und morgen wieder raus) verbunden ist, einigen wir uns auf das näherliegende Öer, den "sichersten Hafen Dänemarks", erreichbar durch eine Schleuse, die anderthalb Meter Höhenunterschied ausgleicht. Wir haben erstaunliche 3 Knoten Strom gegenan. Das "naaacht an Köpä!" Da muss Nervennahrung her. Mit dem restlichen Reis von gestern und einigen "veganen Zutaten" (vegan = Schimpfwort des Skippers für alle nichtfleischlichen Lebensmittel) bereitet die LF einen köstlichen Imbiss zu. Ansonsten ruhen wir uns abwechselnd aus. Je dichter unter Land wir fahren, desto weniger Strom haben wir gegenan. Die LF liest wieder mal in "Abendrot Schönwetterbot" von Bernhard Michels rum, einem der interessantesten Wetterbücher jemals, und wünscht sich, die ganze wertvolle Information im Kopf zu behalten und abrufen zu können, wenns drauf ankommt. 

Die Steilküste südöstlich von Jylland, bevor wir nach Öer einbiegen, ist so schön wie ein artiges Mädchen im Sonntagskleid, mit sattgrünen Säumen und dunkleren Grasbordüren; Bäume stehen wie Scherenschnitte gegen den blassblauen Himmel. Wir schleusen ohne Verzögerung. Ferienhäuschen säumen den Hafen, eine ehemalige Kiesgrube, die den Charme einer Kiesgrube versprüht. Absolute Windstille macht die hörbaren Geräusche noch häuslicher, als sie ohnehin wären:  Kinderschreien, Geschirrklappern, Besteck wegräumen...

Da das Hafenrestaurant wegen Gesellschaft geschlossen ist, lassen wir uns von einem sehr netten Taxifahrer ein Restaurant in Ebelthoft vorschlagen. Er setzt uns im "Mellem Jyder" ab, wo, wie der Name schon sagt, vor allem Jütländer hingehen. Das Essen ist bezahlbar, vor allem aber frisch und köstlich. Das historische Fachwerkhaus ist vollgehängt mit ländlichen (Stick-)Bildern und bedruckten Kacheln. In dieser entspannten Atmosphäre beginnt das Lokal ein wenig zu schwanken, wie so oft nach einem Tag auf See; zusammen mit den schiefen Fußböden und dem Sabbelwasserpegel des Skippers neutralisieren sich alle Phänomene insgesamt zu einer wunderbaren lauen Nacht, in der vor allem einer die Lampe an hat: der beinahe volle Mond.

Und sonst:
- Wir fragen uns, ob wir noch sozial kompatibel sind für das Leben zuhause und wägen unsere Chancen auf Resozialisierbarkeit. 

Mittwoch, 21. August 2013

"Things are always changing like the shoreline and the sea..." — Anholt, die Holde

So rum und so rum:
Alter Bekannter auf der Steinpier von Anholt
zwischen den beiden Außenstegen
Sonntag, 18. August. Eindringliches Gebläse weckt uns.  Die LF beginnt "Die Tote im Götakanal" zu lesen. Skipper vor Ladenschluss um 12:00 los, um Abendbrot zu besorgen. Ausgedehntes Sonntagsfrühstück. Unter der Wurstbude ist es gemütlich, draußen heult der Wind und tost die Brandung. Schon morgens zeigt der Windmesser bis 34 Knoten. Ein Lärm! Wir brauchen Bewegung und machen einen Spaziergang am Strand, vorbei an einem alten Bekannten auf der Steinpier. Sein Gesichtsausdruck wechselt ständig, wie könnte es anders sein, mit dem Wetter. Schatten, Regen, Sand und kleine Dinge, die sich in den Senken sammeln, lassen den körperlosen Steinmann in beide Richtungen höchst lebendig werden. Das Holzgeländer zwischen Pier und Strand ist über und über vollgeschissen mit violetten Möwenausscheidungen. Die Möwen picken mit Vorliebe Kronsbeeren und erweitern mit ihrem Dünnschiss die sommerliche Farbpalette um ein strahlend päpstliches Lila.

Der Wind zerrt beharrlich an allem, was wir anhaben und lässt uns aussehen wie Michelinmännchen, so aufgeblasen. Für eine kleine Pause suchen wir Zuflucht in den Dünen, wo Wind und Brandung nicht hin reichen. Ruhe und Kekse. Wir lassen den Sand durch die Zehen rieseln. Als wir weiter laufen, müssen wir uns gegen den Wind stemmen, bis zur "offiziellen Ecke", dem Poller, der irgendwo in den Sand gesteckt ist. Jemand hatte ein Erbarmen und setzte den Holzpfahl als Wegmarkierung irgendwo auf den Gesamtumfang von ca 30km, damit "die nächste Ecke" sich nicht bis in alle Ewigkeit an den Horizont verschiebt. Leute stecken Federn und Stöckchen in den Pfahl: "Auch ich bin hier gewesen." Wir stecken eine Möwenfeder für uns in den Poller, und für den toten Seehund mit den herausgequollenen Augen, den wir wider Willen gesehen haben, bauen wir einen Cairn (Steinhaufen). Der oberste Stein dieses Haufens sieht aus wie ein Totenschädel, nicht nur, weil er weiß ist. Er hat schwarze Augenhöhlen und der Mund steht offen.

Am Strand können wir zusehen, wie Steilküsten werden und vergehen. Wie im Großen, so im Kleinen. Die Wellen haben etwa dreißig Zentimeter hohe Abbruchkanten geschaffen, mit Vorsprüngen, Buchten und "Kleckermännchen". Neue Hänge steigen an, ältere stehen über, andere werden gerade unterspült. Schichten werden sichtbar, wo das Meer Steinchen und Muscheln abgelegt hat. Der Sand an den vorstehenden Miniklippen ist aufgetrocknet, nasse Streifen zeichnen sich dunkel ab. Wir bleiben stehen und schauen der Erdgeschichte zu... Luftbläschen hinterlassen beim Platzen Minikrater im Sand. "Unterschätz mal die Kraft der Luftbläschen nicht!" antwortet der Skipper auf die Verwunderung der LF über die "Kraft der Luftbläschen", die es wohl brauchen muss, um die relativ harte Sandoberfläche derartig einzudrücken. Alle Achtung!

Und sonst:
- Brandungsfeuerquallen
- Anholt ist eine "Zeit-raffer-insel" (O-Ton Skipper), nicht nur wegen der Erdgeschichte, sondern auch wegen dem Wetter, das von allen Seiten heranzieht und weit hin beobachtet werden kann
- das 3,5 prozentige Leichtbier steht dem deutschen Starkbier in Sabbelgehalt für den Skipper in nichts nach
- unsere Fußabdrücke verschwinden nach nur einer Überspülung!
- Verschiedene Frontensysteme geben sich im Himmel die Klinke in die Hand
- Momentaufnahme von Wind und See heute http://youtu.be/tdDvJLaSj8A

Drei Millimeter

3 Millimeter
Samstag, 17. August.
Wir sind so dermaßen ausgeschlafen, dass wir schon beinahe wieder eingeschlafen sind. Die Knäckebrotwetteranalyse der LF ergibt: erhöhte Luftfeuchtigkeit. Das Knäckebrot knäckt nicht mehr. Die erste Amtshandlung des relativ windstillen, sonnig warmen Tages, ist natürlich ein Bad in der grünen Anholtbrandung. Wassertemperatur im Hafen 18,2°C, in der Brandung dürfte die Temperatur etwas darunter liegen. Einige der wenigen Gäste im Hafen nutzen die Windpause heute, um Richtung Westen und Heimat aufzubrechen. Wir bleiben und genießen die Stille im Hafen. Machen ausführlich rein Schiff. Zum Abendbrot grillen wir am öffentlichen Grillplatz, ebenso wie eine Familie aus Essen mit ihren Freunden; sie veranstalten ein sehr effektives Grillen. Kaum sind die Würstchen auf den Tellern, sind die sieben Sachen auch schon wieder zusammen gepackt. Wir sitzen noch rum und genießen den Aufzug des nächsten Wetteraktes am Abendhimmel. Der Wind brist auf, im Dunkeln kommt noch eine Dreierflottille rein.

Die Brandung brandet what, Schaumkronen schäumen what und leuchten what, der Mond scheint what, der Wind heult what, die Schiffe wiegen sich what. Der Skipper raucht what, trinkt what, sabbelt what. Die LF bloggt noch what. Im Südwesten verschandelt das Blinken des im Bau befindlichen Windparks den nächtlichen Horizont.

Und sonst:
- Der Skipper kriegt heute 3 Millimeter verpasst, den einzig wahren Sommerschnitt

11° 29 Minuten — Getterön nach Anholt

Skären-Design im Hafen von Getterön
Freitag, 16. August. Schon um 4:00 früh fragt der Skipper aus dem Schlaf heraus "Ist es schon hell?!" Nein, ist es nicht. Der Wind soll heute überwiegend südwestlich kommen (ziemlich genau von da, wo wir hin wollen, wie meistens auf der Rückreise), aber zwischenzeitlich ist eine südlichere Phase angekündigt, die wir nutzen wollen, um nach Anholt "rüber zu machen". Die angekündigten 5-6 Bft schrecken uns nicht, aber mit einer wieder maladen LF und einem Gegenan-Kurs wird es wohl nicht sehr spaßig. Vor allem steht eine 1-1,5m Welle gegen uns. Urgh. Die LF legt sich in Lee ab und möchte nur noch, dass es aufhört. Der Skipper meistert alles souverän und hat auch noch Spaß dabei. Hätten wir den Schlag nach Westen heute nicht gemacht, wären wir wahrscheinlich in Getterön hängen geblieben (falsche Küste!), denn der Wind soll in den nächsten Tagen südwestlich bleiben, und am Sonntag soll es richtig Hack geben... Die gestrige Warmfront, gefolgt von einer Kaltfront soll okkludieren (Okklusion = Vermischung der warmen und kalten Fronten), wahrscheinlich mit Trog (Verengung der Isobaren hinter der Kaltfront oder der okkludierten Front, also mehr Wind).

Tatsächlich dreht der Wind am Vormittag nach Süden, und wir können unseren Kurs nach Südwest halten, ohne kreuzen zu müssen. Wir fahren Fahrstuhl auf der "beschissenen Scheiß Kattegatsee", deren Wellen kurz und steil sind. Dennoch wird nicht mal ein Acht-Stunden-Tag draus, aber "acht Stunden sind" ja sowieso "kein Tag"). Auf dem Längengrad 11°29 Minuten nehmen wir die Abkürzung nach Süden zwischen den Untiefen, die weiträumig vor der Insel liegen. Dann schlingern wir in die Einfahrt. Drin hört die Welle schlagartig auf. Der Hafen von Anholt, dem dänischen Ferienparadies im Kattegat, ist ebenso leergefegt wie die schwedischen Häfen. Die meisten Boote sind längsseits der Piers festgemacht, wo sich sonst hunderte von Booten mit der Schnauze an die Stege drängeln. Zunächst gehen wir auch längsseits der Pier, verholen uns aber dann doch lieber mit der Schnauze an den Steg und achtern an eine Heckboje, da längsseits ein "kardiologisches Dauervibrieren" zur Ruhe kommen unmöglich macht. Der Wind wird mal stärker, mal schwächer, dann nimmt er wieder zu, wie es nur der Wind kann. Am Abend bläst er immer noch aus Süden, mit 6-7 Bft, und gibt ein stetes dunkles Grundbrummen mit einem hellen Pfeifen darüber von sich.

Im Molevitten, der einzigen Lokation, die noch geöffnet hat, bekommen wir zum Abendbrot "die letzten Jomfruhommeren"; an den anderen Tischen sitzen Dänen. Ein barockes Tier von einem Mann verdrückt zum Abendbrot zwei Portionen Fleisch und Beilagen, die er mit mächtig viel Rotwein herunterspült, bis er am Tisch einnickt, unweckbar. Ein ortsansässiger Handwerker mit Frau am selben Tisch, dessen Auto volle Breitseite vor der Tür steht, bedient sich von der Schachtel Zigaretten aus der Hemdtasche des Schlafenden. Es wird gegrölt und gelacht. Draußen bläst es ohne Unterbrechung. Auf dem Rückweg vom Molevitten presst der Wind uns Sand in die Augen.

Und sonst:
- "Hack" ist in diesem Fall hier nicht das durch den Wolf gedrehte Fleisch für Spaghetti-Bolognaise, sondern kräftiger Wind. "Orntlich Hack" oder "richtig Hack" ist mehr Wind, als wir normalerweise freiwillig für einen Amwindkurs in Kauf nehmen, also 7 oder 8 Bft.
- Die grüne Anholtsee ist eine der schönsten Seen unseres Reviers; es steht auch bei wenig Wind immer eine kleine Brandungswelle mit sauberem weißem Schaum auf den feinen Sandstrand. Kaum wird man ihrer ansichtig, will man eintauchen.

Sonntag, 18. August 2013

Alte See und gegen den Strom — Donsö nach Getterön

Donnerstag, 15. August. Die Ausfahrt von Donsö schön, aber schrill. Sonne schreit Häuschen an, scheint so grell, bringt Farben zum Leuchten: Braun, Gelb, Orange, Weiß. Einzelne Wolken verdunkeln abgegrenzte Wasserflächen zu tiefem Schwarz. Die See ist grob, 0,5 bis 1,5 Meter. Solche Wellen bauen sich u.a. wegen geringer Wassertiefen auf, und die alte Welle von gestern steht noch da. Sie stimmt heute mit dem Wind nicht überein, der moderat mit 3-4 Bft aus SW bläst, während das Gebläse gestern mit 4-5 in Böen 6 Bft aus NW kam. Unter solchen Umständen kann selbst bei Leuten Übelkeit aufkommen, die sonst nicht seekrank werden; da helfen vorübergehend frittierte und leicht gesalzene Kartoffeln in Chipform, heruntergespült mit einer Dose Cola. Alte See ist schlimmer als Schnee von gestern, damit das mal klar ist. Psychologisch ungünstig, man muss aktiv dagegen vorgehen, den Horizont im Auge behalten und ausschließlich gute Sachen denken. Auch der Strom gegenan schlägt auf die Stimmung. Er kostet uns 0,5 bis 1 Knoten Fahrt und vermittelt einem das Gefühl, als würde man genasführt. Du hast Hunger, und jemand hält dir ein verlockendes gegrilltes Hühnerbein vor die Nase, zieht es aber immer wieder weg, wenn du danach greifst. Schön ist allerdings, dass wir alles segeln können. Mit dem Wind aus SW und einem Kurs von 190° können wir alles anliegen; als wir auf Varberg zuhalten kriegen wir wahren halben Wind. Hatten wir uns wegen der 17°C morgendlicher Temperatur noch allerlei Gepüscheltes rausgeholt, müssen wir übern Tag Schichten ablegen. Getterön, mit gut sichtbarer Ansteuerung, ist ein riesiger Yachthafen mit vielen freien Plätzen. Die Boxen haben Poller, genau wie zuhause. Wir nehmen eine direkt hinter dem Wellenbrecher, sehr geschützt. Die Badestelle hat klares Wasser und ist quallenfrei, liegt aber sehr in Luv. Sehr frisch. Zum Grillen ist es zu ungemütlich (5 Bft). Nudeln Chill Out müssen heute reichen. LF immer noch malade.

Und sonst:
- Ja, Cola ist an Bord ein medizinisches Getränk
- Denken hilft gegen den Strom :-)

"Zieht euch warm an!" — Marstrand nach Donsö


Tja, die sonst so diskreten Schweden...
Mittwoch, 14. August. Die Hafenatmosphäre in Marstrand hat sich jetzt zu einem Ding verdichtet, das wir von hinten anschauen. Wie nach einer Party, wo es heiß herging, aber jetzt haben ein paar Hartgesottene schon aufgeräumt, während alle andern noch den Rausch ausschlafen. Wer jetzt nach vorn schaut, ist vielleicht ebenso froh wie die LF, ein Zuhause zu haben mit allem, was dazu gehört: einem Liebsten oder einer Liebsten, Kindern, Enkelkindern, Familien, Freunden, einem Dach überm Kopf und was sinnvollem zu tun usw. 17°C. Die LF liest atemlos "Öland" zu Ende, der Skipper geht nochmal baden, gemeinsam wird "Deutsches Brot!" (aus Sauerteig) gekauft; in Gedanken werden dazu manchmal die Hacken zusammengeschlagen und Zeige- und Mittelfinger zu einem Schnauzbart über der Oberlippe zusammengelegt, aus Daffke und wegen unserer Geschichte, die lebendig bleiben soll. 

Marstrand zählt etwa 1500 Einwohner und ist durch die alljährliche Match-Cup- Regatta eine der Segelmetropolen des Königreichs schwEDEN. Wir ziehen uns warm an und machen die Marstrandpassage in umgekehrter Richtung nochmal, diesmal mit einer kleinen Fock, damit wir länger was davon haben. Die zum Greifen nahen Wolkenschichten sehen aus wie hunderte von Tüllgardinen, die voreinander geschichtet wurden. Wir gleiten auf der schiefergrauen See drunter durch, vor dem Wind nach Süden. Ein traumhafter Segeltag. (N 3 Bft, zunehmend NW 4-5, in Böen 6 Bft). Rund um Marstrand gleicht die Kulisse einer Mondlandschaft. Der Mix aus Sonne und Wolken sorgt für dramatische Kontraste, Licht und Schatten wirken intensiver als alles, was wir bisher auf dieser Reise gesehen haben, auch kälter als bislang. Die Haufendörfer auf den Skären sind klar umrissen, wie Ausschnitte aus Pop-up-Büchern. Still und besinnlich sind wir heute unterwegs. Der Wind ist wieder sehr böig, als wir nach Donsö einbiegen, bläst er uns kräftig ins Gesicht. Das ist echter Pustekuchen. Gut, dass wir ihn tagsüber halb bis achterlich hatten. Das fühlte sich gemütlich an. Zwischen gemütlich und ungemütlich liegen etwa 60°. Der Hafen von Donsö ist ein Fischereihafen, den man seit unserem letzten Besuch vor drei Jahren, als wir einen Sturm abwettern mussten, kräftig aufgerüstet hat. Zwei der langen Stege sind mit weißer Plastikfolie bespannt. Ungewöhnlich. Ob es wohl eine Hochzeit gegeben hat? Die LF spinnt solche Geschichten immer gerne in Gedanken weiter. Wir machen den restlichen Kohleintopf von vorgestern alle. Zum Nachtisch gibts Sonne-unter auf der etwas zugigen Pier, bis es zu kalt wird. Kreischende Jugendliche rasen auf Mopeds durch die Nacht. Sie schreien Herbst und Winter an, dass die gefälligst noch bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst. Wohl wissend, dass der Sommer zur Neige geht. Sie klingen vital, aber auch verzweifelt. 

Und sonst:
- Lufttemperatur tagsüber 16°C
- Wassertemperatur 18-19°
- Feuerquallen, und Salz auf unserer Haut
- Der Supermarkt im Hafen von Donsö hat seinen Namen zurecht: SUPER Markt. Die LF ergattert hier endlich den lange ersehnten Teppichklopfer (für den Hintern des Skippers, ja klar, aber auch für die Matratzen, die alten Staubfänger die). Außerdem grottenhässliche Topfhandschuhe aus Jeansstoff, die aber dick genug sind, als dass man sich nicht die Finger verbrennt, und lang genug, so dass sie die im Sommer meist nackten Unterarme bis zu den Ellenbogen bedecken.

Die Westküste hat auch Skären — Göteborg nach Marstrand

Dienstag, 13. August. Guter Wind zum Segeln heute. Kein Problem, sich aus der Stadt zu verabschieden. Das Fahrwasser raus ist ruppig. Wir heinzen, vorbei an Industrieanlagen, Baustellen und Riesenkränen, die aussehen wie abstrakte Urzeitgiraffen,
bis wir nach NW abfallen können. Dann holen wir die Fock raus. Der Wind ist sehr böig, wir machen nur unter Vorsegel teilweise 7 Knoten Fahrt. Hui! In der Einfahrt nach Marstrand kommt uns der typische leckere Skärenduft nach Kräutern und Nadelöl entgegen. Der Hafen ist so leer, dass die meisten Schiffe längsseits der Piers liegen, wo genau das sonst ziemlich verboten ist. Das Nachsaisongefühl verfestigt sich. Kein Wunder: Diese ist die erste Arbeitswoche der Schweden nach einer zehnwöchigen kollektiven Sommerpause von Juni bis Mitte August. Wir spazieren zum Nacktbadestrand und amüsieren uns wieder über die Aufteilung: Männer und Frauen sollen — von dicken Felsen — getrennt baden. "Schwimmend zwei vögeln" sag ich nur..., oder wie hieß der Roman von Flann O'Brien nochmal? Spaziergänge auf den Skären und in den Wäldchen von Marstrand werden nie langweilig.
Herkules oder Sysiphos
Am späten Abend zieht ein Gewitter vorbei. Eine turmhohe schwarze Wolke hängt sich über den Hafen. Dahinter donnert und blitzt es, alles geschieht ausnahmsweise mal in Zeitlupe. Die Dramatik rührt von der Langsamkeit und der Finsternis dieses Spektakels.


Und sonst:
- Wir kontemplieren nochmal die Ohnmacht der Fliegen, ein Phänomen, dass die LF unlängst durch eigene Beobachtungen am Boden des Vorschiffs verifizieren konnte, wo eine tot geglaubte Fliege sich plötzlich wieder rührte.
In Schwimmen-zwei-Vögel oder Sweeny auf den Bäumen. Übersetzt von Harry Rowohlt und Helmut Mennicken.

Küstenwechsel perfekt — Kungälv nach Göteborg

Sonntag, 11. August. Ab heute Mittag soll es für zwei bis drei Tage kräftig blasen und nass werden. Wir brechen früh auf, damit wir fest sind, bevor das Spektakel losgeht. Haben wir bislang meistens Klappbrücken, Schwenkbrücken oder — ganz ungewöhnlich — Hubbrücken, gesehen, ist die letzte Brücke vor Göteborg/Lilla Bommen eine Drehbrücke. Die Menschen lassen sich doch immer was neues einfallen. In Lilla Bommen sind wieder viele Plätze mit www.dockspot reserviert, die meisten werden aber gar nicht abgerufen. Wir nehmen den erstbesten freien Platz in Lee der Oper. Dann machen wir uns zum obligatorischen ersten Stadtbummel auf: Wir gehen in unser Lieblingscafè in der Victoriapassage, wo der Milchschaum für den Cappuccino mit Mustern aus Kakaopulver gestaltet wird, und besorgen wasserdichte Vorratsdosen von "Granit". Als wir am Nachmittag zurückkommen, bläst es selbst an unserem geschützen Liegeplatz wie vorhergesagt mit 25 Knoten (6 Bft). Unter Deck hängen wir gemütlich ab, dösen und lesen, während draußen der Bär los ist. 

Lilla Bommen ist der teuerste Hafen bislang. 445 Schwedenkronen (etwa 45€) in der Nebensaison, die wir jetzt haben; in der Hauptsaison 495 SK. (ca 50€), incl. Strom, aber ohne Internetz. Selbst der jungen Hafenmeisterin, die hier nur einen Sommerjob macht, ist das ein bisschen peinlich, zumal die Einrichtungen zu wünschen übrig lassen (kalte Dusche!) Die LF bloggt noch what mit den Homerun Codes aus Stockholm; ein recht zuverlässiges und gut ausgebautes regionales Netz, dieses Homerun. Bloggen ohne Internetz Zugang macht nicht recht Spaß. In den letzten zehn Tagen gab es keinerlei Zugang, und die von zuhause mitgebrachte Technik wie Roaming und Stick funktionierte nicht zuverlässig. Wenn die modernen Kommunikationsmittel ausfallen, verstärkt sich das Gefühl, richtig weg zu sein von allem. Von was eigentlich :-) ? !

Zur Feier des Tages — dem vollendeten Küstenwechsel — folgen wir einem Tip von www.tripadvisor. Die Trattoria la Strega wird seit zwei Jahren von einem Italiener vom Comersee betrieben, dessen Freundin, eine Schwedin, die Köchin dieser original italienischen und köstlichen Futteralien ist. "Meine Frau kocht besser als meine Mutter!" sagt der Mann lachend. Wie verliebt muss ein Italiener sein, um sowas zu sagen? Und der Skipper parliert auf italienisch, als hätte er nie was anderes gesprochen. Das muss am Wein liegen, oder an den stillen Wassern, die schon seit jeher tief sind.

Montag 12. August. Immer noch Göteborg
, endlich mal wieder ausgeschlafen. Die LF hat sich in "Öland" von Johan Theorin eingelesen und kommt nicht mehr los von der Geschichte. Spannend, gruselig und geht besonders nahe, da die Landschaft vom unlängst gewonnenen Eindruck noch klar und eindringlich vor Augen steht. Verschlingen nennt man das wohl, was wir mit den Geschichten machen, die wir lesen. Der Skipper darf heute mal alleine raus und kriegt auch keine Uhrzeit, wann er wieder zuhause sein soll; bringt gleich Lesenachschub für die LF mit: "Die Tote im Götakanal". Das Sonne-unter-Spektakel genießen wir auf der Außentreppe der Oper.  

Und sonst:
- Nachsaison. Der Hafen wie ausgestorben.

Montag, 12. August 2013

Vänersborg nach Kungälv (Fästningsholmen)

Samstag, 10. August. Die Städte, welche wir zu sehen bekommen, werden größer und strahlen im Gegensatz zu den Dörfern, die nur im Sommer lebendig werden, eine dumpfe Alltäglichkeit aus. Wir bunkern Diesel und besorgen einen neuen, etwa halb so großen wie den vorherigen Adenauer. Möglich, dass wir den alten verloren haben, als wir, um die Fock zu bergen, abgefallen sind und plötzlich mit neuneinhalb Knoten über den See flogen. Unheimlich, wie Dinge unbemerkt verloren gehen.


Die Schleusen des Trollhätte sind wenige, aber riesig. Wir sind die einzigen Schleuser, verlieren uns in den auch für die Berufsschiffahrt tauglichen Kammern. Abwärts schleusen ist eine sehr sanfte Angelegenheit, bei der wir die volle Länge unserer Genakerschoten brauchen, die wir zum Fieren nutzen, weil sie die längsten tauglichen Leinen sind, die wir haben. Der Kanal ist breit, landschaftlich auch reizvoll, aber ganz anders als der Göta. Entlang des natürlichen Flusslaufs gibt es Weiden, Häuser, dichten Baumbewuchs, einen Kirchturm; der Anblick ruft im Skipper "Alpengefühle oder Mississippigefühle" hervor. Das Fahrwasser ist dicht betonnt, was der Durchfahrt etwas nüchternes verleiht. Der Kanal wird ausgiebig von der Berufsschiffahrt genutzt. Das strahlt er auch aus. Ernste Themen wie Gütertransport und Umsatz schlagen sich unter anderem so nieder. Den Ort Lilla Edet, dessen Name so verheißungsvoll und romantisch klingt, taufen wir in "Desolation Row" um. Halb verfallene Industriegebäude säumen die Durchfahrt. Ab und zu gehen Schauerböen auf uns nieder. Die LF verschafft sich Ausblicke durch Fernglaskino. Der Film heißt schlicht und ergreifend: Wolken!

Die Einfahrt nach Kungälv ist abenteuerlich eng. Wir haben sich widersprechende Informationen. Hafenhandbuch sagt "Wassertiefe 1,80m", die Seekarte und Navionics sagen 3,10m. Die Tiefe ist schwer einzuschätzen, so viel Unterwasserbewuchs. Das letzte Stück ganz verzaubert. Moosbewachsene Felsen führen das Auge Stufe um Stufe nach oben, dunkles, von Feuchte sattes Grün, schwarz umrandet. Beim Anlegen werden wir von starkem Strom versetzt. Nachdem der Tiefenmesser 1,90m zeigt und wir bei dem Versuch, längsseits eines kleinen Dickschiffs zu gehen auf Matsch sitzen, trauen wir uns nicht mehr weiter hinein und gehen vor Kopf an die erste Pier.  

Nordwestpassage — Läckö Slot nach Vänersborg

Freitag, 9. August. Ekens Skärgard, die Passage nördlich von Kallandsö nach Westen, ist zauberhaft. Wir halten wieder den Atem an. Sonne und Wolken spielen Verstecken. Mal leuchtet die Sonne voraus einen bewachsenen Felsen an, mal einzelne, blanke Brocken wie göttliche Krümel, als hätten die Überwesen sie beim Essen fallen gelassen, mal blitzt ein Haus, eine Baumgruppe, oder hinter unserem Kielwasser ein Silberstreifen auf, eine Bucht, die wir passiert haben. Flüchtig beleuchtet werden Felssäume, Schilffelder, eine Weide mit Pferden und einem Häuschen, eingerahmt von dicht bewaldeten Skären. Streckenweise erinnert die Durchfahrt an den Oslofjord, so dicht bewaldet, so hoch, wir fühlen uns weit nach Norden versetzt. Der Wind ist erfrischend. Ein einzelnes junges Bäumchen hebt sich gegen den weiten Himmel ab. Als wir Kallandsö nördlich passiert haben und wieder auf den offenen Vänern rauskommen, steht uns eine steile, kurze See entgegen und es bläst mit 3-4, später 5-6 Bft aus Südwesten. Wir kreuzen auf bis zur Ansteuerungstonne für die Brücke. Sportliches Segeln heute,

ein unerwartetes Geschenk nach der
ganzen Motorerei. Später stellen wir fest, dass wir unmerklich unseren Adenauer verloren haben; der war sowieso zu groß für uns, die wir vaterlandsliebe klein schreiben, dafür aber Muttersprache groß.

Mariestad nach Läckö Slot

Donnerstag, 8. August. Der Himmel hat sich schon morgens früh komplett zugezogen, was die christliche Stille der Domstadt irgendwie noch eindringlicher macht. Es nieselt den ganzen Morgen und regnet sich dann richtig ein, als wir endlich aufbrechen. Schlechte Sicht. Ungemütlich. Wildgänse ziehen in perfekter Synchronizität nach Süden. Ist es schon wieder so weit? Keine Schleusen heute. Fast wie Ferien. Die Einfahrt zum Schlosshafen ist eng. Eine Tiefenskala zeigt einen Wasserstand von etwas unter 2m. Urgh. Ein Finger breit reicht ja unterm Kiel. Laut Hafenhandbuch sollte der Hafen überall tief genug sein. Die Tonnen in der Einfahrt sind schikanös eng gelegt, obwohl Karte und Plotter auch jenseits ausreichend Tiefe anzeigen.

Das Schloss, einst von einem Bischof angelegt, durch einen Brand komplett zerstört, neu erbaut und in der Folge immer wieder zwischen Königen, Herzögen und Grafen hin und her gereicht, ist unbedingt einen Besuch wert. Es ist ein außergewöhnlich gemütliches Schloss, in dem selbst zu wohnen man sich gut vorstellen kann. Das Schloss hat eine eigene Kapelle, und drin bekommt man einen Eindruck vom Schlossalltag. Es gibt einen Brunnen, eine Küche, eine Bäckerei, eine beispielhaft angerichtete Festtafel, ein paar von Doppelbetten dominierte Schlafgemächer (die Menschen unserer Vorzeit waren viel kleiner als wir), Kamine, Gebetszimmer, und die südöstlichen Fenster geben wunderschöne Blicke auf die Bucht und den See frei. An den Wänden hängen faszinierende Gobelins, Schaukästen beinhalten den Schnickschnack aus Jahrhunderten in Silber, Gold und Porzellan. Dem Hafen gegenüber gelegen ein verzaubertes Wäldchen, in dem, sehr diskret hinter Bäumen, ein Campingplatz eingenistet ist.
Was gestern war, wird heute sein:
Aufgang zum Schloss...

Und sonst:
- Skipper macht Rest von gestern (Spaghetti Marinara mit der übrig gebliebenen Fischsuppe als Sauce)

"Are you going down today?" — Sjötorp nach Mariestad


Mittwoch, 7. August. Der Himmel hält sich bedeckt, die Luft ist auf erträgliche 19°C abgekühlt. Die LF hat bedauerlicherweise die Geschichte vom Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand, zu Ende gelesen. Wenn die Schweden auch nur ein Fünkchen von der Kreativität und dem Humor des Autors dieser Räuberpistole haben, dann müssen sie einfach ein gutes Volk sein. "Are you going down today?", will ein junger Schleusenwärter von uns wissen. Er ist extra zu unserem Liegeplatz kommen, um in Erfahrung zu bringen, wann "genau ungefähr" wir starten wollen. An der nächsten Schleuse, direkt am Hafen, treffen wir auch die deutsche Schleusenwärterin einer vorherigen Schleuse wieder. Die junge Frau ist in Schweden hängen geblieben. Ihr steht nur ein Auge zur Verfügung, weshalb sie offensichtlich keine Entfernungen schätzen kann, wie die LF beobachten konnte, als jene in der vorletzten Schleuse unseren Platz einschätzte: "Sie haben noch einen Meter", wollte sie uns beruhigen. Tatsächlich hatten wir aber noch etwa sechs Meter zur Verfügung. 

Auf dem Väner See, den wir liebevoll "den Werner" nennen, kommt der Wind wieder daher, wo wir hin wollen. Aber wir bleiben ganz gelassen heute, machen Witze über den Meister-Sklave-Drill, den das Wetter mit uns abzieht und übertragen ihn auf alles mögliche: "Batterien laden!" "Batterien entladen — sofort!" usw. Am Ende kommt alles mal dran, und alles hat seine Berechtigung zu seiner Zeit. Läuft doch immer wieder auf dasselbe hinaus, nämlich "Turn Turn Turn" von Pete Seeger, und der hats auch nur abgeschrieben vom Prediger, Kapitel drei, das vor etwa ungefähr knapp dreitausend Jahren geschrieben wurde.

Voraus kommt eine Brücke in Sicht (Sundsörenbrücke), die wir bei der Tourplanung übersehen haben, und sie sieht sehr niedrig aus. In der Karte steht 18m. Brücken müssen aber Toleranz haben, denken wir. Ohne Toleranz wäre die Welt steinhart oder eisenhart, auf jeden Fall hart. Unser Mast ist 18,30m, incl. der Windex. Wir wägen das Schlimmste (dass wir uns die Windex abfahren) und riskieren die Durchfahrt, da ansonsten ein großer Umweg bevorstünde. Und siehe: wir passen durch. Zum ersten mal im Leben werden wir der Toleranz einer Brücke teilhaftig, das fühlt sich gut an. Zum Dank intonieren wir unter ihr "Blind man..." und stellen fest, dass sie auch noch sehr schön resoniert. Alles in allem: eine gute Brücke. 

In Mariestad, einem Städtchen mit einem riesigen Dom, liegen wir längsseits der ewig langen Gästepier. Von einem Stadtbummel bringen wir eine sehr ansehnliche Kakaobohne mit, die vorher das Fenster eines Schokoladenlädchens dekorierte. Kopfstein pflastert unseren Weg. Wir passieren ein "Altersheimcafe", unschwer zu erkennen an den "Frauen mit Frisuren". Da gehen wir nicht hinein. Eine Stille liegt über der ganzen Stadt, obwohl wir, wie der Name schon sagt, Mitt-Woch haben. Ausgestorben! Nicht ausgestorben!

Und sonst:
- Der Skipper erzählt dem Schleusenwärter, wie man durch einfache "Bäckereinavigation" immer hundertprozentig genau weiß, wo man ist: morgens Brötchen kaufen gehen, von der Tüte die Adresse ablesen.  
- Das Wasser vom Werner ist trübe, bräunlich. Kein Vergleich mit dem Vättern!



Sonntag, 11. August 2013

Abwärts — Vassbacken nach Sjötorp (Varvbassängen)



Dienstag, 6. August. Nach ein paar unumgänglichen profanen Tätigkeiten wie im- Kühlschrank-übergelaufene-Rahmsausce-aufwischen, eingeweichte Backformen schrubben und Wäsche aus dem Trockner einsammeln machen wir uns auf den Weg. Der Kanal ist gesäumt von Landwirtschaft, Gerstenfeldern mit Knicks, mittenmang Häuschen, die zum Schutz vor dem Wind eng von Bäumen umschlossen sind. Dann wieder Laub- und Nadelbäume, einige Riesentannen. Schafe liegen um den Stamm eines mächtigen Exemplars herum und lecken ihm Moos vom Fuß. Dann wieder Kuhweiden. Der Wind kommt heute sehr böig von allen Seiten, auch in den Schleusen. Zwar ist das Abwärtsschleusen viel entspannter als aufwärts, aber mit dem Wind aus allen Richtungen mit Böen der Stärke 5-6 Bft, den Leinen, deren Länge man mal braucht, dann wieder nicht, und den anderen Schiffen, auf die man vorn und seitlich stoßen kann in den engen Kammern, sind wir ausreichend herausgefordert. Kurz vor Ankunft in Sjötorp zwingen uns gleich zwei Gewitter hintereinander, im östlicheren der beiden Häfen zu bleiben. Schon in der letzten Schleuse beginnt es zu regnen, Donnergrollen verbreitet Hektik und fördert den Wunsch, endlich anzukommen. Nach dem ersten Gewitter tunken wir uns kurz, bevor das nächste sich über uns ergießt. Das Wetter spielt mit uns den "Master and Servant"-Drill durch: "Anziehen!" "Ausziehen!" "Leine dicht holen!" "Leine fieren!" "Strom legen!" "Stromkabel rausziehen!" usw. Nach einem ganzen Tag Schleuserei, abwärts oder nicht, sind wir rechtschaffen müde. Beim Sonnenuntergang steht eine dunkle Wolkenwand so massiv vor dem Horizont, dass die Sonne nur noch einen dünnen Silberstreifen auf die Oberkante zeichnen kann. 

Und sonst:
- Ins Mat-Rum-Pub Hotelrestaurant gehen wir nicht zum Abendbrot, denn dort im Souterain sitzen "Frauen mit Frisuren",die erfahrungsgemäß zu alt für uns sind... 

Dem Karl seine — Karlsborg nach Vassbacken


Montag, 5. August. Der Skipper meint, so wie sich die Dinge gestalten, werden wir niemals aus dem Kanal herausfinden. Weil alles so schön ist, kommen wir nicht voran. Aus Karlsborg allerdings wollen und kommen wir schnell wieder weg, wegen dem Karl seiner Festung, an deren Fuß wir genächtigt haben. Eine mächtige Angelegenheit zur Verteidigung. Neunzig Jahre wurde an dem Ding gebaut, und als es im Jahre 1909 endlich fertiggestellt war, war es hoffnungslos veraltet. Wir bunkern ein bisschen flüssige Schmerzmittel im Systembolaget und kehren dann der Garnisonsstadt den Rücken. Ist nicht so unser Ding. Wer wird Soldat, damals, heute? Und unter welchen Umständen? Von zwangsrekrutiert über eitle Unwissenheit bis Überzeugungstäter sind wohl alle Gründe denkbar. Bei dem Thema fällt der LF ein, dass sie noch immer nicht "Wir ertrunkenen" gelesen hat, das eigentlich mit auf die Reise sollte. 

Die Einfahrt in den Viken, bevor er seinen dicken Haken nach Süden schlägt, ist zauberhaft; eine Naturlandschaft, die mit Kulturlandschaft verbunden wurde. Schären mit bemoosten Säumen, Schilfgürtel,  Steinwälle von insgesamt mehreren hundert Metern Länge markieren die Durchfahrten. Der Viken fühlt sich an, als wäre er 91,8m über dem Meeresspiegel. Und das ist er auch! Wir haben den höchsten Punkt der Kanalfahrt erreicht, passieren die engste Stelle und die erste Schleuse abwärts, 30cm, von denen wir nichts merken. Wie das eben mit 30 Zentimetern so iss.

Vassbacken wird kein Sehnsuchtsort. Plantschende, schreiende Kinder, Wohnwagen und begrabene Hunde. 18:00 Schicht im Schacht.

Drink while you're swimming — Motala nach Karlsborg Stenbryggan



Sonntag, 4. August. Heute hören wir zum Frühstück ausnahmsweise mal Musik. Mark Knopfler, "auf fröhliche Art & Weise depressiv." Weil Sonntag ist, schlafen wir aus und frühstücken so lange, bis wir spätstücken. Dann machen wir uns auf den Weg nach Vadstena, um die beeindruckende Burg zu besichtigen. Das dazugehörige Örtchen ist ebenfalls historisch. Niedlich, aber atmosphärisch vom  Tourismus dominiert. Alte Damen, die nicht aufs andere Ufer zu den Bänken finden, Sommerkonzerte für den Hauptstromgeschmack usw. Burggraben mit Zugbrücke. Historische Spuren zeugen von Kriegen, Verteidigunsbemühungen oder Versuchen, sich vor potentiellen Angriffen zu schützen. Hng.  Zu spät am Tag für eine Innenbesichtigung. Ein kleiner Spaziergang um die Burg muss reichen. 

Nach dem kurzen Zwischenstopp geht's weiter nach Karlsborg. Wir segeln mit 8 Knoten Wind aus Südwest, bei einem Kurs von 278°. Der Wind dreht mit den Küsten und kommt einfach immer aus der richtigen Richtung. Der Vättern See wirkt weit und keineswegs wie ein Binnensee. Zwar sind wir zur Zeit hauptsächlich ziemlich genau ungefähr nach Westen unterwegs. Dennoch spielt der Skipper sinner Fru "North to Alaska" vor. Zum Abendbrot dekorieren wir ein entzückendes Stilleben auf der Pier, an der wir längsseits liegen. Der Blick schweift weit über die Bucht.

Saturday night fever — Ruda nach Motala


Samstag, 3. August. Das Wunder der heutigen Kanalfahrt ist: alles existiert in doppelter Ausfertigung! Einfach alles spiegelt sich: Brücken, Angler, Radfahrer, Schafe, Bäume, Zäune, Hütten usw. (http://youtu.be/3JonshYIplU) Die Höfe entlang des Kanals sind durchwegs gut in Schuss. Ebenso wie die Schleusen. Gute alte Mechanik. Die Borensberg-Schleuse wird in alter Tradition per Hand betrieben, bei der Hitze, die für heute angesagt ist, Schwerstarbeit. Ein paar freundliche Worte genügen; die Menschen freuen sich, wenn ihre Arbeit, sei sie auch noch so einfach, gewürdigt wird. Auf dem Borensee haben wir halben bis achterlichen Wind aus südlichen Richtungen. Wir gleiten unter Segeln, aus denen wir noch einen Rest Regen herausgeschüttelt haben, zur Borenshult Slussen. Nach der Motorerei genießen wir das stille Gleiten unter Segeln. An den Schleusen ist heute Rollenwechsel: Der Mann mit dem Handschuh geht an Land, die Frau mit dem Sonnenschirm bleibt am Ruder. Auch in dieser Konstellation bewährt sich die einmal gewonnene Routine. Mit etwas Übung macht das Schleusen Spaß. Man trifft immer wieder die Co-Schleuser von den vorherigen Schleusen und freut sich über die erneute Begegnung, erkennt man doch Gesichter und hat sich schon das eine oder andere mal geholfen. Schleusen schleust irgendwie zusammen.

In Motala baden wir von der Pier aus im See, dem Vättern. Sehr erfrischend nach diesem heißen Tag. Ein Wasserskifahrer wird abgesetzt und nimmt neuen Anlauf. Am Abend ein Gewitter, dass sich sprichwörtlich gewaschen hat. Das warten wir ab, bevor wir uns in der "Nostalgie Brasseriet" ein Abendbrot gönnen. Auf dem Weg dahin bewundern wir die Oldtimer, die überall rumstehen und richtig alt aussehn. Vom Restaurantfenster haben wir Ausblick auf ein Boot voller junger Leute, die mit ruckartigen Bewegungen zu lauter Musik versuchen, ein Samstag-Nacht-Fieber heraufzubeschwören. Dabei schauen Sie unentwegt in die Runde. Aber wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein.

Und sonst:
- Höhenunterschied Borensberg Schleuse nur 20 cm
- Durchfahrt Motala Industrie-Museum entzückend (eine pechschwarze historische Lock, schöne alte Speichergebäude, dichter Baumbewuchs vom Feinsten)
- am rechten Kanalufer der "White Wedding" von gestern: eine junge Braut in Weiß wird unter Bäumen abgelichtet
- Der Skipper besorgt ausgeblühten Dill, um der LF eine Fischsuppe zu kochen

Der Mann mit dem Handschuh, ohne Handschuh

"A Good day for a sunburn!" "Or a white wedding." — Norsholm nach Ruda


Freitag, 2. August. Vor der Einfahrt in die erste Schleuse von Berg ein Strandbad. Die Berg-Schleusen sind hoch, und es sind viele hintereinander weg. Schaulustige säumen beide Seiten. Die Menschen gruseln sich gerne vor der Tiefe der schweren Steinpiers, vor der Wucht des einlaufenden Wassers, sie lugen respektvoll von der Kante hinunter, wobei ihre Füße sich beinahe unmerklich des Bodens vergewissern. Mit den Schleusern kann man sich gut unterhalten. Es sind Studenten, die begehrte Sommerjobs machen. Sie sind mit Schwimmwesten und Walky-Talkies ausgestattet und verständigen sich von Schleuse zu Schleuse. Heute macht das Schleusen Spaß, weil der Hauptstressfaktor von gestern wegfällt: der Wind. Aktuell ist eher die Hitze der Gegner. Schon am frühen Vormittag 30°C.

Die LF ist deswegen "Die Frau mit dem Schirm", der Skipper wegen der schlecht heilenden Brandwunde immer noch "Der Mann mit dem Handschuh". Passagierdampfer kommen uns entgegen. Sie haben Vorrang. Wir müssen ausweichen. An allen Dampfern hängen über eine Höhe von ca 1,50m romantische Holzfender runter. Manchmal geht einer verloren und treibt dann zweckentfremdet im Wasser. Während des Schleusens lässt sich auch gut klönschnacken, wenn darüber die Aufmerksamkeit nicht nachlässt. Nach getaner Arbeit tunken wir uns an der nächstbesten Holzpier, da die LF einem Hitzschlag nahe ist. Da Schleusen und Brücken nur bis 18:00 bedient werden, machen wir hinter der letzten Brücke fest. Im nahegelegenen Norrbysjön tunken wir uns nochmal in durchsichtigem Wasser. Unsere Badestelle gehört zu einem bewirtschafteten, sehr aufgeräumten Bauernhof. Die Abendsonne hinterlegt den nahen Wald mit dunklem Gold...

Der letzte Sonnenuntergang

Und sonst:
- Wer zur See fahren will, sollte nicht Rot-Grün-blind sein
- Wir haben keine Weltkarte als Tischdecke (wie unsere Nachbarn in der Schleuse)
- Angriff von hunderten von Stechmücken zur Blauen Stunde. Wir haben Autan.
- Irgend jemand lacht häufig ohne Grund und pupt Löcher in die Unterhose

"Let's take it easy together!" — Söderköping nach Norsholm, Götakanal die Zweite


Donnerstag, 1. August. Beim milde ausgestatteten Schiffsausrüster besorgen wir noch zwei Fender, denn unsere reichen in den Schleusen ja nicht hin und nicht her, wo sich die Steinwände gnadenlos ins Gelcoat reiben. Beim Aufwärtsschleusen wirken beeindruckende Kräfte, wenn das Wasser einströmt. Eigentlich sind wir immer noch unterbefendert, da wir alle Fender an steuerbord brauchen, an backbord aber ungeschützt sind. Eine Schwedin von einem Motorböötchen hinter uns spendet Trost, sie merkt, dass wir etwas im Stress sind, da wir zum ersten mal ein Segelboot schleusen. Sie und ihr Mann schleusen schon seit 20 Jahren hin und her durch diesen Kanal. Da sie aber eine Knieverletzung hat und nicht springen kann, müssen die beiden die Sache sowieso ganz entspannt angehen. Stress macht es nur noch schwieriger, sagt sie. "Let's take it easy together!" Das ist mal eine Ansage, die wirklich hilft. 

Stressig und anstrengend ist die Schleuserei dennoch, insbesondere wegen der Tücken verschiedener Objekte: Anlegen und Absetzen der LF mit den Landleinen, in Fahrt bleiben, Abspringen, wieder Aufsteigen, z.T. weit über Schritthöhe, das Boot sauber von der Steinwand absetzen usw. Nach der vierten oder fünften Schleuse bringen wir ein paar patente Lösungen zur Anwendung: Wir hängen die Fender hochtief, der Skipper knüpft sinner Fru ne Stufe aus einem doppelten Palstek, und wir legen die Achterleine beim Ablegen auf Slip, damit Strömung und Böen uns nicht vor der Zeit vertreiben. Faszinierend, wie so eine Schleuse funktioniert. Wuchtige Schönheit einfacher Mechanik: auf, zu.

Und dann die hohe Reizdichte heute: Den ganzen Tag steht uns der Wind im Gesicht, 3-4 Bft, in Böen 5-6 aus West, in Verbindung mit der Enge des Fahrwassers teilweise schweißtreibend. Meistens kommt der Wind genau von vorne, kein Problem; bei Anlegern vor und in den Schleusen düst er aber für uns, die wir an steuerbord anlegen, oft ablandig, sodass wir auf die Nachbarn getrieben werden, die an der linken Seite der Schleusenkammer liegen, wenn die Leinen nicht schnell genug belegt sind, am besten natürlich beide gleichzeitig. Auch schwimmen die Fender gerne mal alle zusammen auf und schieben sich komplett hoch, bis sie tatenlos auf der Schleusenmauer rumliegen. Die neuen Fender sind obendrein nur mühsam zu regulieren, weil ihre Bändsel zu dünn sind, sodass sie sich festziehen (wir müssen dickere besorgen). Zur hohen Reizdichte gehört auch, dass extreme Hitze und Kühle sich abwechseln, sowie das grelle Sonnenlicht, gegen das wir unsere Augen abschirmen müssen, und nicht zuletzt die akustischen Reize: das in die Kammer einströmende Wasser ist ohrenbetäubend laut.  

Zum Abendbrot gönnen wir uns regionale Küche. Britta und Lennart Hagström offerieren in ihrer Metzgerei mit Restaurant Fleisch aus eigener Zucht.  Im Laden hängt die Haut von Rita, Nummer 3616, an der Wand.
Rita, Nummer 3616
Britta mochte Rita und zog sie  jahrelang mit durch, obwohl sie (die Kuh Rita) keine Milch gab. Als sie (die Kuh Rita) dann doch ihr Leben lassen musste, weinte Britta. Eine rührende Geschichte, auch wenn sie einen Beigeschmack von Restaurantmarketing hat. Zu später Stunde bloggen. Fliegen verjagen. Nacht.

Und sonst:
- ein Reiher fliegt zwischen zwei Schleusen voraus
- zum Schleusen braucht man intakte Knie, Sprungkraft, einen guten Gleichgewichtssinn, gute Orientierung, schnelle Auffassungsgabe, ein Gespür für Entfernungen
- Was um alles in der Welt ist "Bondromantik"?

So stehst auf einem Geschäft mit Geschirr und allerlei Schnickschnack. (Wir tippen auf "Romantische Fesselungen" mit dem Schnickschnack als Tarnung) 
- Wir liegen längsseits am Steg. In etwa 500 Metern Entfernung rasen Schnellzüge durch die Nacht, ein kurzes, prasselndes Geräusch. So wird aus der gesamten Region Bahnhofsrevier.